Neununddreißig Jahre spater / Thirty-Nine Years Later
“…we stand at the beginning of a festival, we know of the serious hour indicated on the world clock, we know how much of what grows optimistic shoots and seeks the warm spring sun can be utterly destroyed by a summer storm. What can we do with little influence is one small province, in one small nation, when elemental forces of passion collide in a global storm? Such times need steadfast individuals, with a clear conscience and honest intentions, to raise hope of a fortunate turn to the better. Sterlischer Herbst is an idea of peace; beyond all it wants to achieve and all intellectual forces of science and art to unfold, the original idea is moral.” (extract) Hans Koren, 1968
This speech was originally held by the Austrian politician Hans Koren during the 1968 opening of Steirischer Herbst. At the same event, yet almost three decades later, the speech was re-introduced, this time held by a local politician, citing Koren’s words verbatim. This update of a historical text, not labeled as an artistic performance, communicated not only the changes in the discourse of art and society, but also the very alterations in political rhetoric and the communication of ideology during the last forty years.
Performance 30 min, 2006. Commission for Reading Back And Forth / Sterlischer Herbst, Graz
Das erste Wort, das zu sagen ist, ist der herzliche und respektvolle Gruß, der Ihnen allen gilt, die Sie das öffentliche Leben dieser Stadt und dieses Landes reprä- sentieren, die Verantwortungsbereiche dieses öffentlichen Lebens: der Gesetzgebung und Verwaltung, der Rechtsp ege, der Sicherheit und der Verteidigung, der Wissenschaft und der Religion, der Wirtschaft und der Institutionen der sozialen Sicherheit. Aber nicht nur als Repräsentanten sollen Sie begrüßt sein sondern vor allem als jene Persönlichkeiten des Landes und der Stadt, die über ihren beru ichen und amtlichen Wirkungskreis hinaus an der Entfaltung und Vertiefung des geistigen Lebens tätigen Anteil nehmen: ein würdiger Kreis, ein ernstes Vorhaben an seinem Beginn zur Kenntnis zu nehmen und zu bezeugen, ein sinnvoller und angemessener Ort aber auch, in dem sich diese illustre Versammlung zu dieser Stunde eingefunden hat. Dafür gilt Ihnen allen der aufrichtigste Dank.
Wir sprechen vom sinnvollen und angemessenen Ort. (…) In unmittelbarer Nähe wissen wir die ehrwürdige Landstube, in der, seit sie erbaut wurde, was Recht und Gesetz in diesem Lande ist, beschlossen und überwacht wird. Wir wissen nicht weit von hier das alte Zeughaus der Stände mit seiner Waffensammlung, das Sinnbild der Sorge um die Unversehrtheit der Grenzen und die Freiheit des Landes. Und aus den Fenstern hinaus geht der Blick auf das Rathaus der Landeshaupt- stadt Graz. Wir stehen hier ganz in der Mitte, ganz in der geistigen Mitte des Landes. (…) So will auch das, was heute hier begonnen wird, eingeordnet sein in die Verantwortung für das Land als Erfüllung einer in den Traditionen dieses Hauses vorgegebenen Verp ichtung. (…) Aus dieser Gesinnung heraus, die keine Sen- timentalität ist, sondern jene Verbindlichkeit, die jeden Menschen mit der Stätte seiner Herkunft und der Heimat seiner Kinder verbindet und die jeden veranlaßt, von dem Orte seines Berufes, von der Möglichkeit seiner Einsicht und von der Freiheit seiner Handlungsfähigkeit aus, alles zu unternehmen, was dem Leben dieses Landes dient, und zu befördern, was dazu dient, gegen den ständigen Verschleiß und die natürliche Abnützung im zeitlichen Wandel die Substanz des Landes, die geistige und die materielle Substanz des Landes zu erhalten. Der STEIRISCHE HERBST soll eine repräsentative Zusammenfassung der künstlerischen und wissenschaftlichen Kräfte des Landes Steiermark in einer zu- sammenhängenden Veranstaltungsreihe in den Monaten September und Oktober jedes Jahres sein. Sinn und Zweck des STEIRISCHEN HERBSTES ist die Re- chenschaft über die besten im Lande möglichen Leistungen, die aus ihm selbst hervorgebracht werden können und die im gleichen Rahmen den künstlerischen Darbietungen und wissenschaftlichen Veranstaltungen aus anderen Nationen als Ergänzung und im Wettstreit gegenübergestellt werden sollen. Die internationale Komponente erwächst aus der organischen Nachbarschaft und Überlieferung, für welche der Name des alten Innerösterreich das Zeichen ist. Kontakte über Slo- wenien nach Jugoslawien und über Friaul nach Italien haben sich bewährt und werden im STEIRISCHEN HERBST besonders gep egt. Trigon, die Steirische Akademie, die Internationalen Malerwochen in Retzhof, die bisher schon als Veranstaltungen der Steiermärkischen Landesregierung im Herbst aufeinanderfol- gten, werden koordiniert mit den Darbietungen der Vereinigten Bühnen und den Beiträgen des österreichischen Rundfunks, Studio Steiermark. (…) Dazu traten und treten Veranstaltungen freier Institutionen, die sich zur Idee und Verwirklichung des STEIRISCHEN HERBSTES bekennen, ich nenne den Musikverein für Steiermark, das Forum Stadtpark, das Kulturamt der Stadt Kö ach, das symbolhaft die Anteilnahme und Mitverantwortung im STEIRISCHEN HERBST nicht nur von der Landeshauptstadt, sondern auch von anderen Zentren des Landes aus bezeugt. Durch die Mitwirkung der Akademie für Musik und darstellende Kunst, die von Anfang an in dankenswerter Weise entscheidend an der Entwicklung des Grundgedankens mitgearbeitet hat, ist die Einladung an die wissenschaftlichen Hochschulen des Landes erweitert. Hier verweise ich dankbar auf die mehrfache Forderung, die im Steiermärkischen Landtag in den letzten Jahren anläßlich der Budgetdebatten immer wieder erhoben worden ist und die Konkretisierung des STEIRISCHEN HERBSTES im dargelegten Sinn zum Ziel hatte. (…)
(…) Der STEIRISCHE HERBST ist nicht ein krampfhafter Versuch, etwas unbedingt Neues oder Neuartiges in die Welt zu setzen, er ist keine Erfindung, wohl aber etwas, das gefunden wurde, das schon in seiner Anlage und Möglichkeit da war aber im Zusammenspiel mancher Kräfte und Einfälle in unseren Jahren und Tagen sichtbar geworden ist. Das gilt für die Wahl der Zeit, die Wochen des Spätsommers und Frühherbstes, mit der für das Land sprichwörtlich und unverwechselbare jahreszeitlichen Verwandlung der Landschaft als Umgebung geistiger und musischer Erlebnisse, also für den, wie es die Erfahrung lehrt, wetterbeständigen steirischen Herbst (…). Den künstlerischen Darbietungen und wissenschaftlichen Veranstaltungen in diesen Wochen, an die hohe Maßstäbe angelegt werden müssen und deren Rang durch die Namen der Beitragenden ausgewiesen ist, einer solchen Veranstaltungsreihe, in den schönsten und bedeutungsvollsten Sälen dieser Stadt und dieses Landes dargeboten, wird von innen heraus der Charakter des Festlichen zuteil. Sind es also sozusagen Grazer Festwochen, die anderen ähnlichen Veranstaltungen vom Bodensee bis Mörbisch an die Seite gestellt werden sollen? Im Äußeren mag es manche Ähnlichkeit geben, im Grunde aber glauben wir nicht nur etwas Neues, sondern in seinem Wesen und darum auch in seiner Ausreifung zur eigenen Gestalt etwas völlig anderes zu wollen. Was ist das Besondere in diesen Wochen, das Neue, nicht vielleicht alle Welträtsel Lösende und alles Bestehende auf den Kopf Stellende, aber doch das Besondere, das Eigene und wie wir glauben das Not- wendige, das in dieser Stadt und in diesem Land zu geschehen hat? In den Herbstveranstaltungen der kommenden Jahre wird mehr als bisher und auch mehr als in diesem Jahr das Theater, die Oper und das Orchester seinen Beitrag leisten, aber es wird nicht nur eine Festspielzeit des Theaters und des Orchesters sein, sondern ebenso wesentlich und dazugehörig zum Grundkonzept des STEIRISCHEN HERBSTES werden weiterhin die Beiträge und Seminare der Steirischen Akademie bleiben und ebenso den STEIRISCHEN HERBST konstituierend werden die Erlebnismöglichkeiten der bildenden Künste in Darstellung und Diskussion, von den Institutionen des Landes und der Stadt und freier Vereinigungen getragen, dazugehören. Noch sieht es aus, wenn das Programm des diesjährigen STEIRISCHEN HERBSTES als Ausgangspunkt der Überlegung genommen wird, als handle es sich um eine bloße Aneinanderreihung künstlerischer und wissenschaftlicher Unter- nehmungen und Veranstaltungen, aber es ist der feste Wille und der eigentlich sinngebende Auftrag, dieses Additive des Programmes zu überwinden und die Beiträge der Wissenschaft, der Vereingten Bühnen, des Rundfunks, der Kulturreferate und freien Institutionen im STEIRISCHEN HERBST jeweils unter einem bestimmten Grundthema, nicht in einem die schöpferische und initiative Gestaltung hemmenden Exklusivrahmen, sondern vielmehr in einem höheren, freien und innerlichen Einverständnis zu vereinigen. (…) Daß wir uns immer wieder bemüht haben, mit der Akademie künstlerische Darbietungen zu verbinden hatte nie den Zweck der sogenannten musikalischen Umrahmung, und daß wir die bildende Kunst in Ausstellungen und Diskussionsreihen eingebaut haben, sollte vor allem ein Bekenntnis dafür sein, daß die Kunst, nicht nur weil sie „eine den wissenschaftlichen Erkenntnissen ebenbürtige Emeration des Geistes“ ist, ein wissenschaftliches Programm sinnvoll zu begleiten vermag, sondern daß sie vor allem als eine das Gesellschaftliche schlechthin mittragende und prägende geistige Kraft zu erkennen ist. Der Künstler ist nicht mehr der im Personalstand der Domestiken geführte Artist der Herren und Prälaten, für deren Herrlichkeit und Repräsentanz er seine Werke zu schaffen hat, er ist nicht mehr der Dekorateur einer bürgerlichen Welt, deren sentimentale Gefühle, deren heroische Erbauungen und deren sinnliche Emp ndungen er zu illustrieren hat, sondern er ist heute der Mitwissende, der Mitleidende und der Mitschuldige geworden an dieser Zeit, an ihren Zuständen, und seine Werke sind die Urkunden, mit denen er diese Zugehörigkeit ausweist und mit denen er sich auch verp ichtet, einen neuen Weg in eine neue Welt zu suchen. Eine Integration musischen und wissenschaftlichen Bemühens und Lebens ist das Neue und ist das Andere, zu dem sich unser STEIRISCHER HERBST stu- fenweise entwickelt hat und intensiver entwickeln wird. Und da es zunächst und zuerst die Kräfte des Landes und der Stadt sind, die von den Bühnen, von den Lehrsälen, aus den Ateliers, aus den Probelokalen, aus den Studios und Laboratorien aufgerufen sind, um zu zeigen, was das Land zu leisten vermag, zu zeigen aber auch, aus welchen natürlichen, aus welchen geschichtlichen, aus welchen menschlichen Bereichen die Kräfte kommen für dieses Land, in der Zeit und in der Welt zu bestehen, darum wird der STEIRISCHE HERBST, um ein Modewort zu gebrauchen, auch ein in Fleiß und Hingabe erarbeitetes und zugleich feierlich proklamiertes Selbstverständnis des Landes sein. Das Land zeigt seine besten Leistungen im Sinne der Repräsentation. Wenn wir aber wie immer und in diesem Jahr und in den künftigen Jahren Künstler und Gelehrte aus anderen Ländern und auch aus anderen geistigen Landschaften einladen und an das Noten- oder Vortragspult bitten, so soll das ein Zeugnis unserer Gesinnung sein, wie weit und wie frei und wie offen in die Welt und in die Zeit hinein unser Interesse reicht. Das also ist ein Charakteristikum des STEIRISCHEN HERBSTES: Es wird gespielt auf den Bühnen und im Konzertsaal, aber es wird nicht nur gespielt. Und das zweite entscheidende Merkmal: die Stadt selbst mit ihrer Atmosphäre, mit dem Reiz der Eigenart ihrer Bauten und Plätze, wird eine vom frühen Herbst durch- leuchtete große Bühne sein. Wie Salzburg eine unvergleichliche Bühne ist, wie sich das Ufer des Bodensees als wandlungsfähiger Prospekt bewährt, so wird auch diese Stadt Kulisse bieten, aber sie selbst wird keine Kulisse sein, vor der fremde Gäste dirigieren und die Steirer selbst nur als Billeteure und Bühnenarbeiter tätig sind. Die Kinder des Landes sitzen im Parkett, für sie wird gespielt und sie spielen mit. Denn diese Stadt, was ihr Historisches anlangt, ihre Schönheit und ihre zurückhaltende Eigenart ist keine Kulisse, sondern ein Testament. (…) Wir wissen, wie abgebraucht der Name des Steirischen Prinzen oft ist, wir wissen, in welcher Vorstellungswelt gutmütig, geringschätzig und gedankenlos seine Erinnerung oft angesiedelt ist und doch ist er, der uns als kostbarstes Erbe seinen grauen Rock als Zeichen der inneren Verbundenheit aller Menschen dieses Landes hinterlassen hat, er, der seinem Haus und seinem Land die Blume Männertreu und das Kreuz des Brandhofers hinterlassen hat, das Urbild der mit den Problemen ihrer Zeit bis in die letzten Einzelheiten hinein vertrauten und zur Lösung dieser Probleme aus innerstem Gewissen heraus verp ichteten sittlichen Persönlichkeit. Das sind keine zeitbedingten Eigenschaften, das ist kein Charakter, der seine Gültigkeit verlieren kann, und er, der dieses Land gelehrt hat, worüber es verfügen kann, über die Schätze der Erde, über die Möglichkeiten eines erneuerten Landbaues, über die Kräfte, die in der Geschichte und in den Traditionen dieses Landes liegen, über den Fleiß und die Tüchtigkeit und die Fähigkeit der Menschen dieses Landes; der sie aus der Kenntnis dieser Dinge heraus in der Gründung seiner Institutionen, vom Joanneum bis zur Landwirtschaftsgesellschaft, in der Förderung der Industrie und der Bildung alles getan hat, was in seiner Zeit zu tun gewesen ist, und im ganzen Land die Grundlagen gelegt hat; der Industrialisierung, der Demokratisierung und Intensivierung des geistigen Lebens, jene Grundlagen, die tragfähig und festgefügt aus dem 19. Jahrhundert herüberragen und unserer Generationen den Boden für unsere P ichterfüllung und den Weiterbau, der von uns erwartet wird, möglich machen. So ist das Bild des Steirischen Prinzen, wo immer wir es nden im Land, kein Schmuckstück und keine Wanddekoration, sondern ein zeitlos gültiges Symbol, und so ist auch das Joanneum nicht nur der Sammelbegriff der Abteilungen des Landesmuseums, sondern die steirische Formulierung der Bildungsaufgabe, die diesem Land übertragen ist, so wie jedem einzelnen der Bundesländer Österreichs, die ihm zugewachsene, die ihm zukommende, die ihm mögliche Bildungsaufgabe in der Erfüllung des Eigensinnes und der Eigenart des Landes zugewiesen ist.
(…) Es ist ein Koordinatensystem der Österreichischen Aufgabe, in dieser Welt in seiner Eigenart sich zu entfalten, und die innere Kraft, aus der das Land lebt, einzusetzen, um die Menschen zusammenzuführen: die Menschen und die Völker. Und es ist eine ganz bestimmte und konkrete Aufgabe, die unserem Land Stei- ermark und seiner Landeshauptstadt in diesem Koordinatensystem zufällt. Das Bild des Steirischen Prinzen ist keine Dekoration, sondern ein Symbol. Die Stadt ist keine Kulisse, sondern, was ihr Historisches anlangt, ihre Schönheit und den Reiz ihrer Eigenart, ein Testament. Ein Testament in einem zweifachen Verstand, Te- stament im Sinne der Verlassenschaft und des Erbes, aber auch im Sinne eines Zeugnisses und eines Gelöbnisses. Das Bild dieser Stadt ist geprägt nach dem Wun- derwerk dieses Landhauses, der stillen, kraftvollen Schönheit der alten Burg, dem reizvollen Kontrast des gotischen Domes neben dem südländischen Charakter des Mausoleums, von den vielen Häusern und Palästen, die der Adel und das Bürgertum hier in diesem Land, hier in dieser Stadt zu ernsten Aufgaben versammelt, als Heimstätten und Repräsentationsräume erbaut hat. Pläne dazu haben immer wieder gerne die Italiener geliefert aus dem Venezianischen, aus dem Friaulischen, und unter den Maurern waren neben den Kindern des Landes die Slowenen aus der Untersteiermark und Krain beschäftigt, so wie in den Mannschaftsbüchern der sich entfaltenden Industrie des 18. und 19. Jahrhunderts in selbstverständlicher Mischung die deutschen Namen der Bauernsöhne des Landes und die slowenischen und italienischen zusammengefunden haben. Sie wie sie ein Zeugnis sind, so ist das Bild dieser Stadt von ihrer Entstehung und Ausgestaltung her ein Spiegel der Aufgabe und des Sinnes der Metropole Innerösterreichs, deren Maße nicht nur für das eigene kleine Land, sondern für die größere, die Länder bis an das Meer umfassende Einheit gedacht waren. Was in dieser Stadt gedacht, geleistet, wofür hier geopfert und geduldet und womit natürlich auch in bescheidenem Maße in dieser Stadt verdient wurde, galt dem größeren Land, das vom Dachstein bis an die Adria reichte, in dem neben den Deutschen in der Steiermark und Kärnten die Slowenen um Krain und die Italiener um Görz und Aquileja unter der Jurisdiktion eines Regenten standen, galt jener Ländereinheit, die unter dem Namen Innerö- sterreich in die Geschichte eingegangen, als geistige und sittliche Einheit aber nicht untergegangen ist. (…)
Was wir mit der Steirischen Akademie versuchen, was wir in Trigon wollen und was wir nun in der Zusammenfügung und Zusammenführung des STEIRISCHEN HERBSTES uns vorgenommen haben, ist nichts anderes, als die Vollstreckung des Testaments, dessen Sinnbild die Stadt in ihrer Entstehung und Entfaltung bietet. Sie ist keine Kulisse, sondern, was in ihr liegt und verborgen ist, gilt es, auch in den Veranstaltungen des STEIRISCHEN HERBSTES, in den künstlerischen wie in den wissenschaftlichen, zu valorisieren. Es gilt, das, was in diesem Land geschah und geschieht, was also Geschichte war und Geschichte wird, in das Bewußtsein der Gegenwart zu heben. Geschichte nicht als Sammlung von Anekdoten über bestimmte Persönlichkeiten und Begebnisse, sondern Geschichte als das Gesetzbuch des Lebens in diesem Land.
Und nun noch ein Wort, um alle Mißverständnisse zu vermeiden: die Themenstellungen unserer wissenschaftlichen Veranstaltungen, das künstlerische Programm und die Berücksichtigung der Tendenzen in der darstellenden Kunst, sind der Gegenwart verschrieben. Darin allein schon zeigt es sich, daß die Tradition für uns kein Ziel, sondern der Ausgangspunkt ist, daß traditionelle Formen Anregungen, aber nicht zu kopierende Vorbilder sind, daß ein Museum ein Studienraum ist, in dem die dem Lande eigenen Gesetze der Lebensgestaltung erkannt und verkündet werden müssen, daß es aber sinnlos wäre, das ganze Land oder auch nur eine Stadt in den Formen eines Museums festzuhalten. Die Zeit schreitet weiter, in ihr die Menschen, mit der P icht, das Überlieferte zu respektieren und mit dem Recht, in Freiheit den eigenen Lebensraum einzurichten. Der STEIRISCHE HERBST ist charakterisiert durch seine Wurzeln, die in die Tradition hinuntergreifen, in jene Tradition, die nichts anders ist als das uns Übergebene, das wir nicht fallenlassen dürfen, das uns Anvertraute, das wir nicht zurückweisen können, das uns ans Herz und an das Gewissen Gebundene, dem wir uns nicht entziehen dürfen. Es ist das Land, sein Wesen und sein Gesetz, das wir aus seiner Geschichte abgelesen haben. Und der STEIRISCHE HERBST ist weiter charakterisiert durch die Aufgeschlossenheit zu Kontakten mit aller Welt und durch die Aufgeschlos- senheit dem Geiste und der Sprache dieses Jahrhunderts gegenüber. Von dieser eindeutigen Position aus teilen wir nicht die Befürchtung, als unmodern verschrien zu werden, wenn uns nicht alles gefällt, was uns dargeboten. Auch das geistige Leben wächst organisch und sie haben Unrecht und erweisen sich wirklich als provinzielle Geister, wenn sie die Provinz überwinden wollen, indem sie die Realitäten, auf denen sie stehen, mit denen sie fertig zu werden haben, die sie in ihrem Sinn zu erkennen und einzuordnen haben, übersehen und geringschätzen. Es gibt für das geistige Leben keine Beziehungslosigkeit zu dem, was im Land geschieht und geschehen kann und geschehen muß, ebenso wie es keinen Verzicht auf die Tradition gibt. Und darum wird bei aller Aufgeschlossenheit der Zeit und der Welt gegenüber, in der freien Weltschau also, der Trigon-Gedanke als Kern und Maßstab unserer Bemühungen gelten. Er ist unsere erste Legitimation für das Gespräch mit anderen Sprachen und Nationen und er schirmt uns vor der Gefahr der völligen Beziehungslosigkeit ab, die alle unsere Unternehmungen nicht nur farblos, sondern auch kraftlos und, gemessen an unseren Mitteln und Möglichkeiten, letzten Endes auch sinnlos machen würde. (…)
Wir beginnen ein Fest, wir wissen, wie ernst die Stunde ist, die die Weltenuhr gegenwärtig zeigt, wir wissen auch, wie vieles, was in einem Frühling hoffnungsfroh keimt und zur Sonne dringt, in den Gewittern eines Sommers vernichtet werden kann. Was vermögen wir mit kleinen Kräften im kleinen Bundesland eines kleinen Staates, wenn elementare Mächte entfesselter Leidenschart in einem Weltensturm aneinandergeraten. Auch in solchen Zeiten ist die Standhaftigkeit des Einzelnen, die Klarheit des Gewissens und die Redlichkeit der Gesinnung notwendig, wenn eine Hoffnung auf eine letzten Endes doch glückliche Wendung bestehen soll. Der STEIRISCHE HERBST ist ein Gedanke des Friedens, über allem, was er bringen will und was sich in ihm entfaltet an geistigen Kräften der Wissenschaft und der Kunst, steht eine sittliche Idee. Hans Koren, 1968